Plutos lange Reise durch den Wassermann: Was kommt auf uns zu?
Im vergangenen Jahr haben wir mit Plutos Hin- und Herbewegungen über die Grenze zwischen Steinbock und Wassermann zu tun gehabt. Am 19. November 2024 ist er dann vollständig in das Luftzeichen des Genies und Kriminellen eingetaucht und bleibt dort auch bis circa 2044.
Doch was bedeutet das eigentlich genau?
Von Schlagzeilen über das Zeitalter des humanitären Visionärs, der alle Menschen wieder vereinen wird und neue, nie dagewesene Geschenke mit sich bringt, bis hin zu fatalistischen Ansichten über Rücksichtslosigkeit und den Verlust aller uns bekannten Werte, der Zwischenmenschlichkeit und der Strukturen, die unsere Welt ordnen, kann man dazu alles finden. Der Tonus der Optimisten: Die Welt steht kurz vor ihrem Erwachen und wir bekommen alle ein Upgrade für eine inklusive und gerechtere Zukunft. Die Pessimisten warnen eher davor, dass sich der Mensch durch Maschinen und Technologien selbst abschaffen wird und wenn wir nicht eingreifen, dann leben wir bald in einer robotergesteuerten, emotionslosen Gesellschaft.
Und was stimmt nun?
Wir wissen es nicht. Pluto und Wassmann sind Energien in unserer Welt, die uns sehr viele und sehr unterschiedliche (und wahrscheinlich auch noch völlig unbekannte) Möglichkeiten zur Verfügung stellen. Sie bieten uns ein Spektrum an Auswahlmöglichkeiten und jeder einzelne von uns darf selbst entscheiden, wie er mit diesen Energien interagieren möchte. Es lebe der freie Wille des Menschen!
Auch wenn es keine definitiven Antworten gibt, ist es nie schlecht die richtigen Fragen zu suchen, also lass uns einsteigen und uns umschauen in “Pluto im Zeichen Wassermann”...
Fangen wir mit Pluto an. Pluto ist auf seiner Umlaufbahn stolze 248 Erdenjahre unterwegs, bis er unsere Sonne einmal umrundet hat. Dabei ist er, je nachdem wo er sich gerade befindet, zwischen 30- bis 50-mal weiter von ihr entfernt als unsere Erde. Was sagt uns das? Mit viel Abstand und einer der langsamsten Fortbewegungen durch die Tierkreiszeichen lässt sich Pluto viel Zeit mit den Themen, die er uns auftischt. Und in der Evolutionären Astrologie bedeutet viel Zeit auch immer mehr Komplexität. Es ist nicht so, dass Pluto generell mächtiger ist als beispielsweise Merkur - alle Planeten und Himmelskörper sind mächtig auf ihre eigene Art und können in diesem Sinne nicht verglichen werden. Aber wenn es in deinem Ohr ganz plötzlich anfängt laut zu pfeifen, dieses Pfeifen nach weiteren zwei Minuten jedoch wieder abklingt, dann ist das eine völlig andere Situation, als wenn der gleiche Störton Jahre nicht mehr verebbt. Die zweite Situation bekommt allein durch Zeit eine komplett andere Auswirkung - selbst wenn der Ton der gleiche ist.
So funktioniert auch die Kraft Plutos: Über Zeit entsteht Umfang, Komplexität und Tiefe.
Und wofür steht Pluto?
Pluto steht für das Potenzial der wirklichen, absoluten Transformation.
Wir dürfen nie vergessen, dass die größte Gefahr in der Astrologie darin liegt, dass sie Ideale beschreibt. Und wenn wir das Ideal als Ziel nehmen, anstatt als Ausrichtungs- und Orientierungshilfe, dann werden wir früher oder später desillusioniert das Handtuch werfen (und niemand kann uns ernsthaft einen Vorwurf machen). C. G. Jung hat es auf den Punkt gebracht, als er sagte: “Perfektion gehört den Göttern. Wir können höchstens etwas Ausgezeichnetes erwarten.”
Genauso verhält es sich auch mit der Astrologie. Sie beschreibt Ideale, doch die Umsetzung solcher Ideale auf Erden ist immer der Versuch einer Annäherung, nicht der einer Punktlandung.
Pluto steht demnach für das Ideal der Transformation. Und wie gelingt diese Transformation? Durch den Abstieg in die eigene Hölle - Pluto ist bekanntlich der römische Gott der Unterwelt. Er ist der Herrscher über das, was wir in die innere Unterwelt verschoben haben (Unterbewusstsein), oftmals bis zur völligen Verdrängung. Und so wähnen wir uns zunächst in falscher Sicherheit, frei von etwas zu sein, was wir in Wahrheit nur ganz tief in einer dunklen und vergessenen Falte unseres Rucksacks versteckt haben. In der Befreiung und Konfrontation mit diesen verdrängten, gebundenen Energien liegt Plutos Potenzial zur Transformation.
Wir können erst dann heil und frei werden, wenn wir die unwillkommenen, verdrängten Anteile wieder integrieren lernen. Wir sprechen zwar gerne und leicht von “Shadow work” oder Psychotherapie und ähnlichem, aber lasst uns dabei realistisch bleiben und daran denken, dass ein Abtauchen in die eigenen Tiefen schmerzhaft ist, Schuldgefühle, Scham und Ablehnung gegenüber dem eigen Selbst wecken kann und uns enorme Stärke und Ehrlichkeit abverlangt. Und vor allem ist es ein Prozess, der sich mit emotionalen Wunden beschäftigt, die mächtig genug sind, den rationalen, objektiven Teil in uns zu überwältigen. Pluto ist Herrscher über alles, was uns so sehr triggern kann, dass wir nicht mehr “logisch” handeln. Und doch kommen wir nicht wirklich drum herum, denn es gilt: Arbeitest du dich nicht an deinen Wunden, arbeiten deine Wunden an dir. Das ist Plutos Essenz. Das ist Plutos Dienst. Denn wenn wir uns unseren Dämonen stellen und die Energie wieder frei wird, die wir zur Unterdrückung und Verdrängung dieser Monster benötigt haben, dann steht uns plötzlich ungeahnte Kraft zur Verfügung.
Im Wassermann bedeutet dies, dass wir gefragt sind, unsere Projektionen zurückzuziehen, was Fortschritt, Individualismus, Andersartigkeit und Rebellion angeht.
Während seiner Reise durch das Zeichen Steinbock hat Pluto vieles an die Oberfläche getrieben, was korrupt und unterdrückt in Gesellschaft, Politik und Nation war. Was nicht mehr funktioniert, vielleicht noch nie wirklich funktioniert hat, an der Art, wie wir uns als Menschheit organisieren. Welche Traditionen, Werte und Machthierarchien wir eingeführt und unhinterfragt bis heute durchgesetzt haben (selbst wenn sie schon längst überholungsbedürftig sind). Das Bankensystem, die Ausbeutung der Ressourcen, das Bedürfnis nach Kontrolle in Krisenzeiten, Homophobie, Sexismus, Machtmissbrauch, alles, was Schlagzeilen über die “Werte”, den Aufbau und die Funktionsweise einer Gesellschaft, einer Glaubensgemeinschaft, einer Berufsgruppe etc. gemacht hat, das war Plutos durchdringender Blick in die dunkleren Ecken. Kollektiv, aber auch privat. Und wenn Altes und Bekanntes beginnt zu zerfallen, dann wird der Boden rissig, auf dem wir unser Haus gebaut haben. Unsicherheit stellt sich ein, weil es noch kein klares Bild einer möglichen Zukunft gibt, die Lösungen bereitstellt. Lauter Fragen, kaum Antworten - das führt zu Angst und Angst ist Plutos Verführung Nummer eins.
Der Ur-Antrieb im Wassermann ist Individuation. Und das bedeutet im Kern der Sache auszusortieren und zu unterscheiden zwischen dem, was man mir erzählt hat, wer ich bin, um allem, was wirklich zu mir gehört, bzw. wer ich wirklich bin. Also, wer oder was will die Gesellschaft/die Familie/das Kollektiv, dass ich bin und wo habe ich deshalb meine Authentizität verraten, im Tausch gegen Akzeptanz und Liebe? Pluto will, dass wir wirklich hinsehen.
Aber Vorsicht: Pluto arbeitet gerne mit Projektionen. Deshalb stell dir immer auch die Frage, wie viel von diesem Druck zur Konformität tatsächlich von außen stammt und was in Wahrheit nur (oder zusätzlich) aus deinem Inneren gegen dich selbst arbeitet.
Gibt es einen Teil in mir, der mich anpassen möchte?
Was ist mein verinnerlichter Gesellschaftsdruck? Meine verinnerlichten familiären Erwartungen an mich selbst?
Wir sind schon seit unserer Geburt Teil eines Kollektivs, und ebenso ist das Kollektiv auch Teil von uns… Wo stehe ich also meiner eigenen Authentizität im Weg? Wo habe ich Angst, verstoßen zu werden, wenn ich mich zeige und was habe ich deshalb von meinem wahren Ich nie gelebt?
Wann werde ich besonders wütend, sollte sich jemand nicht nach “den Regeln” (im gesellschaftlichen Sinne) verhalten? Und könnte es vielleicht damit zu tun, dass ich mich innerlich insgeheim, in einem sehr dunklen und versteckten Teil meiner eigenen Psyche, unter enormer Anstrengung und Schmerz selbst versuche, zurechtzubiegen? Hält mir diese rebellische Person möglicherweise einfach nur einen Spiegel vor?
Auf der anderen Seite gilt es zu beobachten, ab wann Individuation die Schwelle zum Egoismus überschreitet. Die dunkle Seite des Wassermanns kann sich kalt und unempathisch zeigen gegenüber anderen, die er als “Gegner” seiner Authentizität, seiner Vision für die Zukunft betrachtet. Er kann verurteilend auf diejenigen blicken, die aus Angst an ihren altbekannten Werten und Ordnungen festhalten und kreiert damit noch mehr Spaltung und Entfremdung zwischen sich und den “anderen”. Doch eigentlich symbolisiert der Wassermann den Archetypen des humanitären Menschen und Kämpfers für soziale Gerechtigkeit. Er steht für die Macht der Gruppe, weil er Menschen vereint und damit bemächtigt. Doch dies gelingt nur, wenn er sich nicht abkapselt und von seinen Emotionen dissoziiert. Hier fällt mir eine Geschichte meiner Mutter ein, die in ihrer damaligen Schulklasse einen Klassenkameraden hatte, der auf die Drohung eines Lehrers, er sitze hier am längeren Hebel, einfach antwortete: “Und wir an 34 kürzeren…”. Das ist purer Wassermann. Die Rebellion des “kleinen”, unterdrückten Bürgers gegenüber korrupten, machtmissbrauchenden Institutionen. Er bringt frischen Wind und plötzliche, blitzartige Veränderungen.
Doch auch eine Gruppierung ist nicht davor gefeit, Projektionen nachzulaufen. Wenn sich Menschen vereinigen, wird ihre Macht größer, im Guten wie im Schlechten. Der wütende Mob, der sich selbst immer weiter anstachelt und Fanatiker, die auf Krawall des Krawall wegens gebürstet sind, sind negative Beispiele hierfür. Sich missverstanden zu fühlen und sich deshalb zurückzuziehen, nur um irgendwann kalte Rache an der Gesellschaft zu verüben, ist einer der dunkelste Auswüchse hier und Plutos psychologischer Röntgenblick will, dass wir auch dort hinsehen. Anstatt die Menschheit als das sehen zu können, was sie im Grunde ist: eine große Vereinigung, die gemeinsam gut leben und sich individuell, sowie kollektiv weiterentwickeln möchte, wird sie durch Polarisierung und Spaltung in immer mehr “Minderheiten” aufgeteilt und aus der einen Menschheit entsteht eine unüberwindbare Kluft zwischen “uns” und “den anderen”. Wir dissoziieren von aller Verbundenheit und werden kalt gegenüber “den anderen”.
Damit wir kontrollieren können, ob wir auf den Pfaden des Lichts wandern, muss jegliche Idee zur Veränderung immer auf der Basis von Humanität, von Nächstenliebe, Freiheit und Respekt für alle aufgebaut sein. Zumindest ist das der angestrebte Nordstern von Pluto im Wassermann.